Die Gesellschaft, sagt Hajo Banzhaf,
Deutschlands meistgelesener Tarot- Buchautor, " verzeiht es einem nie,
wenn man zwei Gesichter hat." Er spricht aus Erfahrung. Das erste
Gesicht des Hajo Banzhaf ist das eines Bankers und Vermögensberaters.
Zwölf Jahre arbeitet er im Bankfach, davon sieben Jahre als Leiter
der Auslandsabteilung der Thurn- und Taxis-Bank. Das zweite Gesicht
des Hajo Banzhaf läßt ihn seine Stellung kündigen und als Autor von
Handbüchern zu den Orakel- Karten einen höchst erfolgreichen Weg einschlagen.
Der Mann, dessen "Arbeitsbuch zum Tarot" (Diederichs)
eine Auflage von 100.000 überschritten hat, ist nicht nur im Bankgewerbe
eine Ringeltaube. Auch im Bereich der Esoterik wimmelt es nicht von
Ex-Bankern. Wen wundert`s, daß sein Umgang mit den Orakel-Karten,
die manche für das Weisheitsbuch der alten ägyptischen Priesterkaste
halten - Banzhaf: "Dafür gibt es keinerlei Beweise" -, vernünftig,
grundsolide, beinahe wissenschaftlich ist.
In den Tarot-Seminaren des Münchners kommt auf dreißig
Frauen gerade ein Mann. Und seine Anhängerinnen hält Banzhaf nicht
nur mit Worten in Bann. Ein blauer, quellwasserkühler Blick, die Stimme
angenehm tief, alles in allem eine ruhige, höchst maskuline Präsenz.
Ein seltener Glücksfall in der Esoterikszene. Und die Gesellschaft,
hat sie ihm nun eigentlich seinen kühnen Karrierewechsel verziehen?"Wenn
der sich damit auseinandersetzt, dann ist was dran", kommentieren
die Ex-Kollegen aus der Bank.
MARIE CLAIRE: Was ist
Tarot?
HAJO BANZHAF: Tarot ist ein Orakel,
das aus Karten besteht. Wie bei jedem Orakel geht es darum, daß das
Bewußte aus dem Unbewußten einen Hinweis, einen Ratschlag oder auch
eine Tendenz genannt bekommt. Dazu eignen sich die Tarotkarten vortrefflich,
weil sie bebildert sind und Bilder die Sprache des Unbewußten darstellen.
Denn wir träumen ja auch nicht in Begriffen, sondern in Bildern.
MC:: Die Karten selbst haben keine Kraft?
HB:: Nein. Mir ist das ganze Brimborium egal, ob man sie aus der Hand
geben oder sie auf den Boden legen darf oder in Samt und Seide einwickeln
muß. Die Karten sind ein Stück Papier. Großen Respekt habe ich vor
dem ehrwürdigen Alter der Symbolik der Tarotkarten.
MC: Was ist das für eine Symbolik?
HB: Das Tarot besteht aus 78 Karten.
22 davon sind Trumpfkarten, die sogenannten "Großen Arkana",
das heißt "die Geheimnisse". Ich habe gezeigt, daß diese
22 Karten in einer überzeugenden, nicht austauschbaren Weise aufgebaut
sind, weil sie so die älteste Geschichte der Menschheit erzählen.
MC: Welche Geschichte ist das?
HB: Es ist "Die Reise des Helden".
Die Geschichte von einem, der aufbricht, das große Werk zu vollbringen.
Das ist eine Parabel für den Lebensweg des Menschen, deren Grundstruktur
sich in den Mythen, Märchen und Legenden aller Völker der Erde wiederfindet.
Tarot greift damit in der Symbolsprache zurück bis zu den Ursprüngen
menschlichen Bewußtseins.
MC: Was frage ich das Tarot?
HB: Die einzig signifikante Frage,
die sich einem Orakel zu stellen lohnt, ist für mich: Was ist meine
Aufgabe?
MC: Können uns die Tarotkarten auch
im Alltag Rat geben?
HB: Natürlich. Sie können nach Tendenzen
fragen. Wie wird es weitergehen? Als zweites können Sie nach der Gegenwart
fragen: Wie stehe ich zu einem Menschen, wie steht er zu mir? Die
dritte Ebene, die mir am sympathischsten ist, nenne ich Vorschlagsebene:
Ich kann mir von den Karten zeigen lassen, was passiert, wenn ich
zum Beispiel meinen Job kündige, und was passiert, wenn ich es nicht
tue. Die vierte Fragerichtung heißt Selbsterfahrung: Wo stehe ich,
wer bin ich, was tue ich?
MC: Wie ziehe ich eine Karte?
HB: Sie mischen, breiten die Karten
verdeckt im Fächer aus und ziehen dann mit der linken Hand eine Karte.
MC: Dazu haben Sie auch Legesysteme
entwickelt.
HB: Ja, es gibt die unterschiedlichsten
Legemethoden. Ich selbst benutze häufig "das Kreuz", für
das man nur vier Karten ziehen muß, die folgende Aussagen machen:
1. Darum geht es. 2. Das ist jetzt wichtig. 3. Das ist jetzt nicht
wichtig. 4. Das ist der nächste Schritt.
MC:Und wie kann so etwas denn überhaupt
funktionieren?
HB: Dafür gibt es verschiedene Erklärungsmodelle,
aber keine befriedigende Antwort. Ich stehe in der Tradition der Jungschen
Psychologie, daß das, was wir "Ich" nennen, das Zentrum
des Bewußtseins ist. Dieses "Ich" scheint für alles eine
Lösung zu haben. Es ist aber nur der kleinste Teil des Ganzen. Das
Ganze nennt Jung das "Selbst", es ist vergleichbar mit dem,
was man umgangssprachlich das "höhere Selbst" nennt. Ein
Teil davon ist das "Ich", das sich selbst bewußt geworden
ist. Das "Ich" sorgt für Orientierung, dafür, daß wir die
Dinge erkennen, unterscheiden, verstehen. Aber das "Ich"
ist nicht dazu da zu sagen, wo es langgeht. Dafür sorgt das Unbewußte.
So wie ich die Dinge verstehe, werden wir alle geführt. Ich sehe das
nicht im religiösen Sinne, daß da ein Engelchen läuft und wir hinterhergehen.
Sondern wir werden geführt von dem größeren Ganzen, und unser "Ich"
ist nur dazu da zu erkennen, Entscheidungen zu treffen.
MC:Das heißt, unser "höheres
Selbst" könnte uns durch die Bildersprache der Tarotkarten Informationen
zukommen lassen?
HB: Sagen wir mal so: Das "Ich"
ist gefangen in Zeit und Raum. Das Unbewußte nicht. Das sehen Sie
an den Träumen. Wir wissen inzwischen auch, daß die Zeit eine relative
Größe ist. Das können wir zwar nicht kapieren, aber wir wissen es.
Dann sollte es uns auch nicht wundern, wenn unser Unbewußtsein nicht
darin gefangen ist, sondern über den Tellerrand des Alltagslebens
hinausspüren und sehr wohl Impulse geben kann, wie etwas sich entwickeln
wird.

MC:Wer
sagt mir, daß das Unbewußte eine Quelle der Weisheit ist. Vielleicht
regiert dort der Wahnsinn?
HB: Der Ratschlag des Unbewußten ist
ganz klar amoralisch. Also nicht moralisch und nicht unmoralisch.
Es gibt beim Tarot die Karte des Moglers - das ist die "Sieben
der Schwerter" - und die taucht nicht selten auf bei der Frage:
"Was kann ich tun, um eine Prüfung zu bestehen?"
MC: Woher kommen die Tarotkarten?
HB: Wir wissen nur, daß im Europa des
14. Jahrhunderts Karten auftauchen. Aber erst ab 1600 ist gesichert,
daß es die Tarotkarten sind, die wir heute noch kennen. Auch ein okkulter
Gebrauch ist von dort bekannt.
MC: Wie erklären Sie sich die Renaissance
der Karten, die ja im England es ausgehenden 19. Jahrhunderts schon
einmal sehr verbreitet waren?
HB: Eine spirituelle Bewegung wie immer
sie sich nenen mag, taucht um jede Jahrhundertwende auf. Angeblich
sind ja mit solchen runden Zahlen besondere Phänomene verbunden, und
so ist es keine Überraschung, daß wir um die Jahrtausendwende eben
doch etwas fixiert auf diese Zahlen starren, mit denen wir unsere
Zeit zählen.
Was in diesem Jahrhundert hinzukommt, ist, daß die Antworten der Kirche,
die ja traditionell für die Sorgen, Ängste und Nöte der Menschen zuständig
war, hohl klingen. Hohl vor allem für die Fragen der Selbstfindung.
MC: Das heißt, die Menschen suchen
anderswo nach Antworten?
HB:Ja. Die Bewegung ging erst mal nach
Osten, da es ja schien, als habe das Abendland keine Werte mehr. Inzwischen
hat man begonnen, sich den abendländischen Traditionen wieder zuzuwenden
und ist dabei auf die Astrologie und das Tarot gestoßen. In der Popularität
heute hat Tarot die Astrologie überflügelt. Das merkt man den Buch-
und Kartenverkäufen.
MC: Gibt es darüber auch Zahlen?
HB: Von den Rider-Waite-Karten, die
hier vor uns liegen, werden in Deutschland jährlich 180.000 Stück
verkauft, von den Aleister-Crowley-Karten 90.000.
MC: Warum interessieren sich fast ausschließlich
Frauen für das Tarot?
HB: Das ist ein Tarot-Phänomen, daß
die Karten und die Bilder dieser Karten offensichtlich dem Weiblichen
zugeordnet sind. Es gibt ja wirklich auch kaum den Begriff des Kartenlegers.
Auf der Symbolebene ist das männliche Denken rational, wortbezogen
und begriffsgebunden. Das weibliche Denken hat mehr mit Konzipieren
zu tun, da müssen die Dinge eingehen, stimmig sein, die richtige Stimmung
erzeugen. Dem männlichen Denken ist Tarot ein Graus. Wie kann das
sein, daß da 78 irgendwie bebilderte Karten, zufällig gemischt, zufällig
gezogen, zufällig aneinandergereiht, irgendeine auch nur halbwegs
ernstzunehmende Aussage für mich haben?! Das ist für das kritische
Denken völlig daneben und deshalb haben Männer große Berührungsängste
mit dem Orakel.
MC: Wie haben Sie denn diese
Ängste überwunden?
HB: Ich gehe bei diesen Dingen recht
pragmatisch vor und stelle einfach fest: Hat es für mich eine Bedeutung
oder nicht? Und ich habe in meinem Leben mehr als hinreichend erfahren,
daß das, was mir durch Tarot geraten wurden, eine solch prägnante
Aussage hatte, daß ich einfach nicht darauf verzichten möchte. Ein
Freund von mir, der Arzt ist, sagt immer: "Wer heilt, hat recht."
Ich muß das nicht näher erklären können.
MC: Also würden Sie Männern den Rat
geben, es einfach mal auszuprobieren?
HB: Ja. Das hat üblicherweise eine
recht eindrucksvolle Wirkung. Aber ich fühle mich nicht als Missionar.
Ich sehe meine Aufgabe darin, den am Tarot Interessierten verständliche
Erklärungen zu geben.
MC: Wo sehen Sie Ihre Position im Esotherikbetrieb?
HB: Neun von zehn Büchern, die zum
Thema Esoterik geschrieben werden, sollten gleich wieder eingestampft
werden. Für viele Esoteriker ist Wunschdenken das Eigentliche geworden.
Man kann alles wissenschaftliche Kalkül vergessen, man muß sich nicht
kritisch mit einem Thema auseinandersetzen, sondern man kann sich
sogar erhaben fühlen über die armen noch wissenschaftsgläubigen Unterentwickelten.
Das alles bedeutet Esoterik für mich jedenfalls nicht.
MC: Sondern?
HB: Der Blick hinter die Oberfläche.
Das heißt, ein Wissen darum, daß unser rationales Erkennen eine Seite
ist, aber nicht das Ganze erfaßt. Doch Vorsicht! Wenn es die Menschheit
im Abendland seit der Antike vorgezogen hat, durch das rechte Auge,
also durch die Ratio, wahrzunehmen, dann kann es jetzt nicht darum
gehen, sich das rechte Auge zuzukleben und nur noch mit dem linken
Auge zu schauen. Es wird höchste Zeit, daß wir perspektivisch sehen
lernen, indem wir beide Seiten der Wirklichkeit wahrnehmen. Und über
das der Ratio nicht Zugängliche kann die Esoterik jede Menge Informationen
geben.
MC: Sie beschäftigen sich auch mit
Zahlenmystik - was wegen Ihrer beruflichen Vergangenheit ja nicht
verwunderlich ist.
HB: Nehmen Sie die Karte der "Hohepriesterin",
also die Nummer zwei der "Großen Arkana". Im Unterschied
zum "Magier", der die Nummer eins im Tarot trägt und für
das Rationale steht, steht die Zwei für das psychisch Unbewußte.
Wir können auch noch wietergehen: Das männliche Denken, was wir mit
dem Rationalen bei der Karte des "Magiers"
identifizieren, hat sich seit der Antike um EIN-Deutigkeit bemüht
und das weibliche Denken der ZWEI-Deutigkeit bezichtigt. Das weibliche
Denken heißt also hier bei der "Hohepriesterin" das innere
Wissen darum, daß allen Dingen ZWEI Pole zueigen sind, daß eine EIN-Deutigkeit
nicht gibt und alle Dinge ZWEI Seiten haben. Das ist vom männlichen
Denken massiv bestiritten worden, und dementsprechend wurde das Weibliche
geächtet - weil zweideutig.
Nun erfährt dieses rationale Denken im 20. Jahrhundert in dem Moment,
wo es in die kleinste uns vorstellbare Größe vorgedrungen ist, eben
ins Atom, durch Heisenberg die Erkenntnis: Es gibt keine Eindeutigkeit!
MC: Und das bedeutet?
HB:Damit ist das Ende dieses Denkens
erreicht, eben das Ende des klassischen Wissenschaftsglaubens.
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